Mit großer Freude erfüllt es uns, dass wir bei unserer „Fingerstyle-Reihe“ einen weiteren Volltreffer landen konnten. Diesmal war ein herausragender Künstler aus den USA bei uns zu Gast, Chris Proctor aus Utah. Mit seinem Fingerstyle, elegant und melodisch zugleich, überzeugte auch er die Gitarrenfans vollens. Hier der Bericht aus dem Reichenhaller Tagblatt vom 27.4.2013 (Kathi Stockhammer hat ihn geschrieben) und zwei Veranstaltungsfotos.

Ein Gentleman mit Fingerspitzengefühl

Chris Proctor verzaubert das Publikum im Magazin 4 mit melodischem Fingerstyle

BAD REICHENHALL – Neuerlich hatten Akustik-Gitarren-Freunde im Magazin 4 die Gelegenheit, mit einem der Großen der internationalen Szene auf Tuchfühlung zu gehen. Chris Proctor aus Salt Lake City gab erstmals ein Gastspiel in der Alten Saline und lockte erfreulich viele ebenso versierte wie interessierte Zuhörer in sein Konzert.

Mit einem gelungenen Beatles-Medley fand der fast zwei Meter große, elegante Amerikaner sofort Zugang zu seinem Publikum, überzeugte mit seiner außerordentlichen Fingerfertigkeit.

„Revolution“, „Good Day Sunshine“ und „A little help from my friends“ boten einen wunderbar wohlklingenden Einstieg. Damit war die „Potpourri-Phase“ noch keineswegs vorbei, denn es folgte ein „Folk-Medley“ mit traditionellen Weisen aus Irland, Schottland und den USA. Nun brachte Proctor auch den „E-Bow“ zum Einsatz. Mit diesem Effektgerät, das vor allem Rockmusiker für ihre E-Gitarren benutzen, konnte er die Saiten seiner Akustikgitarre elektromagnetisch in Schwingung versetzen. Vergleichbar mit dem Bogen einer Geige wird dadurch ein gleichmäßiger Ton über einen längeren Zeitraum gehalten. Chris Proctor erzeugte damit sphärische, fast schon mystisch anmutende Klänge, die vielen seiner Stücke eine ganz persönliche Note gaben.

Der Sohn eines US-Soldaten, geboren in Frankfurt am Main, spielte in seiner Kindheit nur zum Spaß Gitarre. An der Universität kam er mit professionellen Musikern in Kontakt, die ihn animierten, sein Instrument ernsthaft zu erlernen. Mit viel Eifer widmete er sich daraufhin seiner neuen Leidenschaft. Dies liegt bereits viele Jahre zurück. Kaum zu glauben, dass der sympathische, jugendlich wirkende Amerikaner inzwischen seinen 61. Geburtstag gefeiert hat. Längst hat er sich zu einem der Meister der modernen Fingerstyle-Technik entwickelt und schier unerschöpflich ist sein Repertoire aus den unterschiedlichsten Stilrichtungen.

Bei seinem Auftritt in Bad Reichenhall mischte er zwischen die vielen bekannten und populären Titel eigene Kompositionen.

Zu diesen Nummern erzählte er kleine Geschichten in englischer Sprache, aber immer wieder auch einige Sätze auf deutsch. So erfuhren seine Gäste beispielsweise, dass er bei „Cheap Vacations“ sieben Jahre brauchte, bis er das Stück nicht nur beherrschte, sondern „fühlte“. Erst mit dem Einsatz des bereits erwähnten „E-Bows“ gelang es ihm, einen Dudelsack perfekt nachzuempfinden – jetzt passte alles zusammen. Der Blues „Henry’s Shuffle“ sollte die Stimmung an einem total missglückten Studientag vor vier Jahrzehnten ausdrücken. Doch so schlimm wird es nicht gewesen sein, denn objektiv betrachtet klang dieses Stück erfreulicherweise recht groovig und erstaunlich wenig deprimiert!

Die erste Halbzeit beendete dann ein wunderschönes Liebeslied von „The Moody Blues“, jener britischen Band, die als Pioniere des Symphonic Rock gelten und mit ihren „Nights in White Satin“ Musikgeschichte schrieben. Just diesen Song adaptierte Chris Proctor auf geniale Weise: Mit seinem E-Bow ersetzt er das von den Engländern damals verwendete Mellotron, um seinerseits sinfonische Klangbilder zu erzeugen.

Mit dem Titel „Tap Room“, das wiederum aus der Feder von Chris Proctor stammt, ging es nach einer kurzen Pause weiter. „In einer Stadt wie Salt Lake City, in der überwiegend Mormonen leben, gibt es nicht so viele Lokale wie anderswo, weil Alkohol und Kaffee verpönt sind“, berichtete er. Daher widmete er dieser Bar ein eigenes Lied. Bei „Hot Spot“ nahm sein Spiel rasant an Fahrt auf und man sah es förmlich vor sich, dass der Musiker selbst die Autos anschieben wollte, um den Verkehr dort zu beschleunigen. Doch auf dem „Hot Spot“ staut es sich andauernd. Nach einer Hommage an Neil Young und seinen legendären Protestsong „Ohio“ gab es mit „704“ (es waren einmal genau 704 Meilen von Salt Lake City bis zur Freundin in Los Angeles) und „Deco Drive“ abermals eigene Werke. Anschließend läutete der Künstler zum Konzertende noch einmal eine Medley-Phase ein. Nun durften sich die Gäste an seinen Interpretationen unterschiedlichster Welthits erfreuen. Ob „Sweet Home Alabama“ von Lynyrd Skynyrd, „Call me Al“ von Paul Simon oder „Ob-La-Di, Ob-La-Da“ von den Beatles: Chris Proctor bewies eindrucksvoll, dass er es spielend versteht, harmonische Melodien und atemberaubende Technik in Einklang zu bringen.

Der überaus kräftige Applaus seines begeisterten Publikums holte ihn zurück auf die Bühne. Mit der letzten Dampflokomotive, dem „Last Steam Engine Train“ präsentierte er eine mitreißende Würdigung des 2001 verstorbenen amerikanischen Fingerstyle-Komponisten und Musikwissenschaftlers John Fahey, der es sogar in die Rolling-Stone-Liste der größten Gitarristen aller Zeiten schaffte. Mit „Martha, my Dear“ von den Beatles und „Paint it black“ von den Stones endete das Konzert, aber einige Gäste blieben da, lauschten und staunten. Chris Proctor, ganz in seinem Element, gab nämlich spontan noch einen kleinen Gitarren-Workshop für Fans, die selbst musizieren und sich eine derartige Lektion keinesfalls entgehen ließen.

 

www.chrisproctor.com

Dank an Gaby Krass für die Überlassung!