Stellen Sie sich einmal vor, Sie fahren vier Stunden durch die Taiga zum nächsten Flughafen, sitzen dann fünf Stunden im Flieger nach Moskau, dort steigen Sie in ein Flugzeug um, das drei Stunden später in München landet. Hier mieten Sie einen Leihwagen, fahren damit nach Bad Reichenhall und finden sich pünktlich in der Alten Saline ein. Doch jetzt dürfen Sie sich nicht ein gemütliches Plätzchen suchen und einem Konzert lauschen, nein, Sie müssen zum Soundcheck, essen schnell eine Kleinigkeit und stehen dann zwei Stunden auf der Bühne. Das wäre Ihnen zu anstrengend? Für die Musiker von "Huun Huur Tu" ist das der Alltag. Als kulturelle Botschafter der Autonomen Russischen Provinz Tuva sind sie fast das ganze Jahr hindurch auf einer Reise rund um den Erdball.

Das Magazin 4-Team ist sehr stolz, dass es 6 Jahre nach seinem hiesigen Debüt dieses fantastische Quartett wieder in Reichenhall begrüßen durfte.

Das Konzert begeisterte auch diesmal das Publikum restlos. Der vier Tuvaner mit den außergewöhnlichen Stimmen und den exotischen Instrumenten bereicherten das Reichenhaller Kulturangebot auf einzigartige Weise. Im Reichenhaller Tagblatt berichtete Barbara Titze über dieses tolle Konzert (Ausgabe vom 14.7.2012):

 

Obertongesang entführt in sibirische SteppeFoto: Barbara Titze

Konzert mit Trancepotential begeistert

das Publikum im Magazin 4

Es sind Kenner, Liebhaber und Interessierte, die sich im Magazin 4 einfinden, um dem Ensemble Huun-Huur-Tu zu lauschen. Und die großartige Darbietung der vier Musiker Kaigal-ool Khovalyg, Radik Tyulyush, Sayan Bapa und Alexei Saryglar begeistert sowohl diejenigen, die wissen, was sie erwartet, als auch die, die sich nicht sicher sind, worauf sie sich einlassen.

Die autonome Republik Tuva im Süden Russlands, nahe der Mongolei,  ist die Heimat der Truppe und einer der am wenigsten bekannten und exotischsten Landstriche Sibiriens, geprägt von großartiger Landschaft, hohen Gebirgen, glasklaren Seen, Taiga und Steppe. Das Markenzeichen der tuvinischen Kultur ist der Kehlgesang, „Khöömei“, die höchste Stufe des Obertongesangs. Die dafür notwendige Atemtechniken haben ein erhebliches Trancepotential für die Interpreten und sind eng mit dem Schamanismus als vorherrschender Religion verbunden. Der einzelne Sänger ist in der Lage, drei Melodien auf einmal anzustimmen. Da können höchster Tenor und tiefster Bass gleichzeitig erklingen, dazu hört man ein Trällern wie von Vogelstimmen. Es ist kaum zu glauben, dass die menschliche Kehle diese erstaunlichen Töne hervorzubringen vermag. Entsprechend fasziniert ist das Publikum. Dazu beherrschen die vier Musiker auch noch etliche Instrumente, viele von ihnen sind traditionelle Hirteninstrumente wie die tuvaner Pferdegeige.

Die vier Sänger treten in traditionellen schwarzen oder grauen Seidengewändern auf, ruhig und gelassen sitzen sie auf ihren Stühlen, sie wirken bescheiden und würdevoll. Sie kommen aus einem Land, in dem Nomaden und Viehbauern leben, wo auf einen Quadratkilometer 1,8 Einwohner kommen. Deutschland hat im Vergleich dazu 235 Einwohner pro Quadratkilometer). Im Winter hat es gerne mal bis zu minus 45 ° C hat, im Sommer heiß ist und es 300 Sonnentage im Jahr gibt – eine beneidenswerte Vorstellung.

Aber es ist auch ein sehr armes Land, die Tuvaner bilden eine der größten Minoritäten in Sibirien, ihre Lebenserwartung gehört mit 56 Jahren zu den niedrigsten in Russland. In Tuva gibt es nur zwei größere Straßen, wenig Städte, dafür viele Nadelwälder, Moore und weite, unbesiedelte Landstriche. Huun-Huur-Tu bringt durch seine Musik die Kultur Tuvas der westlichen Gesellschaft nahe. Ob in der New Yorker Carnegie Hall oder im Magazin 4, ihre einzigartigen Melodien ziehen die Menschen in ihren Bann. Wenn auch keiner die Worte versteht, mit denen die Sänger in ihren Liedern die Liebe zur Natur, den Bergen, Tieren und den Menschen zum Ausdruck bringen, so entsteht vor dem geistigen Auge des Zuhörers doch von ganz alleine eine fremdartige, bezaubernde und eindrucksvolle Kulisse.

Und die Tuvaner verstehen es meisterhaft, Geräusche und Tierstimmen nachzuahmen. Pferde spielen eine bedeutende Rolle in ihrem Heimatland, auch im Tuvaner Wappen ist ein Pferd mit Reiter zu sehen, das der Sonne entgegenstrebt. Geschnitzte Pferdeköpfe zieren die Hälse der Pferdegeigen, und als sie von den Pferden singen, hört man diese schnauben, wiehern, traben und laufen. Die Bilder von wehenden Mähnen unter blitzblauem Himmel hat man unwillkürlich vor Augen.

Bei dem Lied über die Hirten, die über die Steppe ziehen, hört man die Nomaden mit den Herden vorbeiwandern, sie kommen näher, entfernen sich und verlieren sich in der Ferne. Maultrommeln kommen in kaum gehörter Vollendung zum Einsatz, als sie vom Geist der Gebirge, von Echos, von den Bergen ihrer und unserer Heimat singen. Und als sie dann mit ihren teils selbstgefertigten Instrumenten und dem reichen Klangvolumen ihrer Stimmen einen warmen, lebendigen Urwald erschaffen, ist das Publikum vollends begeistert.

Die Taiga ist erfüllt mit Vogelstimmen, Kolkraben kreischen, Wölfe ziehen umher, kleinere Tiere huschen am Boden dahin. Man hört das Getrappel von Mäusen, das Summen der Insekten und das Knarren der Bäume. Es wird Abend, die Dämmerung senkt sich über die Wälder, Käuzchen und Eulen rufen, es raschelt in den Blättern, der Mond zeigt sich. Was diese vier Sänger da für ein vielfältiges, von prallem Leben erfülltes Bild entwerfen, ist atemberaubend und wunderschön. Und als das letzte Zirpen verstummt, der letzte Ton verklungen ist, da brandet der begeisterte Applaus auf.

Nach einer Zugabe endet dieser exotische, wunderbare und außergewöhnliche Abend viel zu schnell.

 

 

Fotos aus dem Magazin 4 folgen in Kürze.